Das Leben von Tsunesaburo Makiguchi

1871    Makiguchi wird am 6. Juni in einem kleinen Fischerdorf, Arahama, in der Niigata-Präfektur auf Honshu an der Japanischen See geboren.

1874    Im Alter von 3 Jahren wird er von Verwandten adoptiert, da seine Eltern sich trennen. Seine Jugend ist von großen Entbehrungen gekennzeichnet. Er kann nicht durchgehend die Schule besuchen. Doch zeichnet ihn großer Wissensdurst aus.

1887    Makiguchi arbeitet zur Aushilfe in einem Büro in Otaru auf der Insel Hokkaido und beginnt sich abends auf die Aufnahmeprüfung für eine weiterführende Schule vorzubereiten.

1889    Er beginnt nach erfolgreichem Schulabschluss, inzwischen in Saporro, eine Ausbildung zum Lehrer an Grundschulen.

1893    Makiguchi besteht die Diplomprüfung zum Lehrerberuf mit Auszeichnung und arbeitet in den folgenden Jahren als Grundschullehrer. Daneben beschäftigt er sich mit Fragen der Geografie und Landeskunde. Durch den freundlichen Umgang, den er mit den Kindern pflegt, gewinnt er von Beginn an die Herzen seiner Schüler und auch ihrer Eltern. Sein Unterricht zeichnet sich dadurch aus, dass er die Schüler immer wieder dazu auffordert, Fragen zu stellen und die behandelten Sachverhalte anhand eigener Erfahrungen zu prüfen und kritisch zu hinterfragen. Makiguchi heiratet seine Frau Kuma. Aus dieser Ehe gehen acht Kinder hervor, vier Jungen und vier Mädchen. Von den acht Kindern überleben Makiguchi nur drei. Von 1924 bis 1932 verliert das Ehepaar Makiguchi vier Kinder vor allem durch Krankheit; drei Söhne im Alter von 19, 21, 31 und eine Tochter im Alter von 14. Sein letzter verbliebener Sohn fällt 1944 im Alter von 37 im Krieg nur wenige Wochen vor Makiguchis Tod.

1901    Die Familie Makiguchi zieht nach Tokio, nachdem es wegen Makiguchis neuartigen Lehr- und Unterrichtsmethoden an der Grundschule in Sapporo erste Auseinandersetzungen mit der Schulbehörde gegeben hat. In Tokio bereitet er die Veröffentlichung eines Buches zu Fragen der Geografie vor.

1903    Makiguchi veröffentlicht "Die Geografie des menschlichen Lebens" (Jinsei chirigaku). Das Buch wird von der Kritik sehr gut aufgenommen. Manche Rezensenten sehen in ihm einen Meilenstein in der Entwicklung der landeskundlichen Geografie in Japan. Suketoshi Tanabe, ein einflussreicher Sozialforscher, bezeichnet das Buch als die erste "Geografie der Menschheit", die in Japan Verbreitung gefunden habe. Auch das japanische Erziehungsministerium erkennt Makiguchis Buch an und es wird als Studienmaterial zu einer Standardreferenz für Studenten der Geografie, die sich auf das Lehrerexamen vorbereiten. Weil Makiguchi nur einen einfachen Lehrerabschluss besitzt und keine Universität besucht hat, bleibt ihm die von ihm zeitweilig ins Auge gefasste akademische Laufbahn verschlossen.

1903-1913    In den nachfolgenden Jahren bis 1913 arbeitet Makiguchi in verschiedenen Anstellungen, um die wachsende Familie zu ernähren. So arbeitet er in einem Verlag, als Herausgeber einer Zeitschrift und zeitweilig als Landeskundler in Erziehungsbehörden. Auch setzt er sich für Bildungschancen junger Frauen ein. 1910 ist er am Aufbau einer Studiengruppe für Nachbarschaftsstudien (kyodoka) beteiligt, deren Methodik er pädagogisch-didaktisch systematisiert und 1912 in seinem zweiten Werk „Das Nachbarschaftsstudium als integrierender Fokus der Schulpädagogik“ (kyoju no togo chushin toshite no kyodoka kenshu) veröffentlicht. Durch all diese Jahre hindurch offenbart er einen kritischen Geist und beklagt etwa das Vorgehen der japanischen Regierung im Russisch-Japanischen Krieg (1904/05), der die japanische Vormachtstellung in Ostasien begründet.

1913-1922    1913 kehrt Makiguchi in seinen "Lebensberuf" als Lehrer zurück und leitet bis 1922 mehrere Grundschulen in der Tokio-Region. Im Schulalltag und –betrieb kritisiert Makiguchi dabei beharrlich die veralteten und nicht mehr zeitgemäßen Lern- und Lehrverhältnisse. Er bemängelt die Abtrennung von Schule und Schulleben vom Leben in der sie umgebenden Gemeinde und Nachbarschaft sowie das Fehlen von nüchternem, wissenschaftlich orientiertem Denken zur Entwicklung einer neuen, zeitgemäßen Erziehungswissenschaft. Er lehnt es ab, für Schüler von besser gestellten oder einflußreichen Eltern Vergünstigungen im Schulalltag durchzusetzen. Makiguchi wird in diesen Jahren wegen seiner progressiven Erziehungsideen, mit denen er auch erfolgreich experimentiert, regelmäßig von Schulbehörden oder konservativen Lokalpolitikern angegriffen und in Folge mehrfach versetzt. Häufig nehmen Schüler und Eltern ihn in Schutz, meistens jedoch ohne dadurch Sanktionen gegen ihn abwenden zu können. 1920 begegnet er Josei Toda, der auch Grundschullehrer ist. Beide teilen bald eine tiefe Verbundenheit im Kampf für die neuen Erziehungsideale

1922    wird Makiguchi Leiter der Shirokane-Grundschule, die durch ihn binnen kurzer Zeit zu einer der anerkanntesten Grundschulen in Tokio aufsteigt. Doch trotz dieses Erfolgs führt die Beharrlichkeit, mit der er an seinen egalitären und progressiven Erziehungsidealen festhält, schließlich 1931 dazu, dass ihn die Schulbehörden zwingen, auch dort seinen Abschied zu nehmen. 1932 scheidet er ganz aus dem aktiven Schuldienst aus.

1928    konvertieren Makiguchi und Toda zum Nichiren-Buddhismus. Im Nichiren-Buddhismus finden sie eine reiche religiöse Praxis und Tradition, die ihre wissenschaftliche Überzeugung als Pädagogen bestätigt und vertieft.

1930    veröffentlicht Makiguchi den ersten Band des Werks "System der Werte schaffenden Erziehung" (Soka kyoikugaku taikei). In diesem Buch legt er die von ihm entwickelte wissenschaftliche Pädagogik dar, für deren Einführung er im aktiven Schuldienst vergeblich gekämpft hatte. Das Erscheinen des Buches gilt als Gründungsereignis auch der Reformgesellschaft "Erziehungsgesellschaft für die Schaffung von Werten“ (Soka Kyoiku Gakkai), der späteren "Soka Gakkai". Soka heißt „Werte schaffend“. Die Situation des japanischen Erziehungswesens gilt bei Erscheinen des Buches allgemein als festgefahren, traditionsverfallen und trostlos. Für viele gilt das Buch als wegweisend in eine bessere Zukunft und es wird von einigen bedeutenden Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in einem Unterstützungsaufruf, der in der von Toda herausgegebenen Zeitschrift „Umwelt“ (Kankyo) erscheint, freudig begrüßt. Für Makiguchi und seine Mitstreiter ist eine Veränderung des Erziehungswesens in Japan der einzige Schlüssel für eine nachhaltige Veränderung des Lebens auch der gesamten Nation. Makiguchi stellt sich in den 30er-Jahren ganz in den Dienst der neuen Reformbewegung und der Förderung ihrer progressiven Erziehungsideale. 1931-34 erscheinen drei weitere Bände seiner Erziehungsphilosophie.

1935    Die von der Erziehungsgesellschaft herausgegebene Zeitschrift „Neue Lehren“ (Shinkyo) erscheint erstmals; Toda fungiert als ihr Herausgeber. 1936 wird ihr Name in „Erziehungsreform“ (Koiky kaizo) geändert.

1937    findet die 1. Generalversammlung der Erziehungsgesellschaft statt, auf der sie sich auch formell konstituiert. In den folgenden Jahren wächst die Gesellschaft von 100 auf ca. 2000 Mitglieder heran. Sie erzielt in ihren praktischen Reformbemühungen an einzelnen Schulen Erfolge. Doch im Zuge des anwachsenden Nationalismus und Militarismus in Japan verschlechtert sich das soziale Klima im Land rapide mit bedeutenden Folgen auch für die Arbeit der Gesellschaft.

1940    Makiguchi wird auch formell Präsident der Gesellschaft, Toda ihr Generalsekretär. Die Gesellschaft greift inzwischen weit über Pädagogenkreise hinaus und versteht sich als allgemeine soziale Reformbewegung.

1941    Gründung der Zeitschrift "Werte-Schaffung" (Kachi sozo), die an die Stelle der Zeitschrift „Erziehungsreform“ tritt.  Mit dem Überfall des japanischen Militärs auf die Pazifikflotte der Vereinigten Staaten in Pearl Harbour am 07. Dezember 1941 tritt Japan an der Seite Nazi-Deutschlands in den Zweiten Weltkrieg ein.

1942    Die japanische Militärregierung verbietet die Zeitschrift "Werte-Schaffung". Makiguchi übt auf Veranstaltungen der Gesellschaft trotz großer Repressionen durch die Obrigkeit weiter Kritik am Vorgehen der japanischen Regierung. So bezeichnet er den Kaiser öffentlich als „Sterblichen“ und den Krieg als eine "nationale Tragödie".

1943    Am 6. Juli werden Makiguchi, Toda und ca. 20 weitere leitende Mitglieder der Gesellschaft verhaftet. Makiguchi und Toda werden im Sugamo-Gefängnis in Tokio strengen Verhören unterzogen. Im Laufe der Verhöre verweigern nur Makiguchi und Toda den Widerruf ihrer pazifistischen Überzeugungen. Sie bleiben in Einzelhaft.

1944    Makiguchi stirbt am 18. November, nach fast 500 Tagen Einzelhaft, im Gefängnis in Tokio, am 14. Jahrestag der Veröffentlichung seiner Erziehungsphilosophie.

1945    Josei Toda wird am 3. Juli aus der Haft entlassen und baut die Reformbewegung nach dem 2. Weltkrieg als allgemeine buddhistische Friedensbewegung und als "Soka Gakkai“ wieder auf.

1960    Daisaku Ikeda wird Präsident der Soka Gakkai. Unter seiner Leitung entsteht seit den 1970er Jahren das Soka-Bildungssystem, das sich auf Makiguchis Erziehungslehre als Soka-Erziehung beruft.